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Eigentümlichkeiten der Dichtersprache – online lernen

Du interessierst dich für Dichtung? Hier werden dir Eigentümlichkeiten der Dichtersprache präsentiert.

Wiki zum Thema: Eigentümlichkeiten der Dichtersprache

Eigentümlichkeiten der Dichtersprache


Die Sprache lateinischer Dichtung unterscheidet sich in bestimmten Eigenschaften von der Sprache lateinischer Prosatexte. Im Folgenden stellen wir dir einige typische Merkmale lateinischer Dichtung vor.


1. Grammatische Besonderheiten (auch in Prosatexten zu finden!)

Neben den dir aus der Arbeit mit dem Lehrwerk bekannten Endungen findest du nicht selten sogenannte Neben- oder Kurzformen:


a) Ersatz der Endung – ērunt der 3.Pl.Ind.Perf.Akt. durch – ēre

dīmīsēre = dīmīsērunt ; fēcēre = fēcērunt ; arsēre = arsērunt ; adiēcere = adiēcērunt


Manchmal kann es dadurch zu Formen kommen, die aussehen wie der Infintiv Präsens Aktiv, sich aber von diesem in den Vokallängen unterscheiden:

vīdēre ≠ vĭdēre ; lēgēre ≠ lěgěre


b) Ersatz der Endung –ris der 2.Sg.Pas. durch –re (im Konj.Präs. und im Fut.I)

laetēre = laetēris ; mīrābere = mīrāberis ; lābere = lāberis


Übrigens kennst du die Endung –re schon von den Imperativen der Deponentien.


c) Ausfall von –vi-, -ve- oder –v- bei v-Perfekten

vexāsse = vexāvīsse ; parārit = parāverit ; laudāstī = laudāvistī


d) Endung –īs statt –ēs im Akk.Pl.m/f in der 3.Deklination

omnīs = omnēs ; ignīs = ignēs ; nāvīs = nāvēs ; «timeō Danaōs et dōna ferentīs» = ich fürchte die Danaer (= die Griechen), selbst wenn sie Geschenke mitbringen


e) Griechische Deklinationsendungen (meist bei Eigennamen). Folgende Endungen sind dabei besonders häufig:

Gen.Sg. auf –ēs Eurydicēs ; Thisbēs ; Circēs

Akk.Sg. auf –a, -n Lāocoonta ; Orphea ; Eurydicēn ; Anchīsēn ; Thetin ; āēr, -is m und aethēr, -is m enden im Akk.Sg. immer auf –a

Akk.Pl. auf –ăs Dryadas ; hērōas (hērōs, hērōis m= Halbgott, Held)


f) Endungen der reinen i-Deklination (Akk.Sg. –im ; Abl.Sg. –ī) bei einigen Substantiven der Mischdeklination

ignim , ignī ; nāvim , nāvī


g) Ersatz der Gen.Pl.-Endung –ōrum der o-Deklination durch –um (meist bei Personenbezeichnungen)

superum= vī superōrum; deum vītam = deōrum vītam; dīvum domus = dīvōrum domus; dux Teucrum = dux Teucrōrum


h) Häufiger finden sich auch folgende Kurzformen:

nīl = nihīl, mī = mihī, quīs = quibus, dī = deī, dīs = deīs


2. Syntaktische Besonderheiten

a) Verwendung des dativus auctoris statt ā/ab+ Ablativ zur Bezeichnung des Urhebers/Täters beim PPP

oblīta mihī tot carmina – so viele von mir vergessene Lieder

amāta sum tibī– ich wurde von dir geliebt


b) Trennung von Attribut und Bezugswort (= sogenanntes Hyperbaton)

«Aetheriās aquilā puerum portante per aurās» = Als der Adler den Knaben durch die Lüfte des Aethers trug > aetheriās gehört zu aurās, aquilā zu portante


c) Subjunktionen stehen oft nicht an der Spitze des Gliedsatzes, sondern rutschen in den Satz hinein.

«Maenius absentem Novium cum carperet ... » (= Cum Maenius absentem Novium carperet) = Als Maenius Novius in dessen Abwesenheit kritisierte …


d) Fehlende Präpositionen beim Ablativ des Ortes und beim Akkusativ der Richtung

fīt strepitus tēctīs(= fīt strepitus in tēctīs) = es ensteht Lärm in den Häusern ; dēvēnēre locōs laetōs(= dēvēnērunt in locōs laetōs) = sie kamen zu fröhlichen Orten / Orten der Freude


e) Präpositionen stehen hinter dem Wort, das sie regieren, statt davor.

Ītaliam contrā = contrā Ītaliam ; maria omnia circum = circum maria omnia;

tē propter = propter tē


f) Der sogenannte accusativus Graecus bzw. accusativus respectus („Akkusativ der Beziehung“) findet sich häufig bei einem PPP, besonders bei medialer Bedeutung.

dēiēctō lūmina vultū = „mit im Hinblick auf die Augen gesenktem Gesicht“ = mit gesenktem Blick ; saepēs flōrem dēpasta = „ein im Hinblick auf die Blume abgewei- deter Garten“ = ein Garten mit abgeweideten Blumen ; myrtō vinctus caput= „im

Hinblick auf das Haupt gebunden mit Myrte“ = mit Myrtenzweigen um den Kopf gebunden, mit einem Kranz aus Myrtenzweigen um den Kopf


g) Mit nē verneinter Imperativ - anstelle von Prohibitiv oder Umschreibung mit nōli(te)+ Infinitiv

equō nē crēdite = vertraut dem Pferd nicht ! ; tē aspectū nē subtrahenostrō = entziehe dich nicht unserem Blick ! ; lūctum nē quaeretuōrum = suche nicht die Trauer um die Deinen / trauer nicht um die Deinen !


h) Sogenannter „dichterischer“ Plural – Singulare werden durch Pluralformen ersetzt; besonders auffällig, wenn Pluralform eigentlich unsinnig erscheint:

ōra = ōs (Gesicht) ; mella = mel (Honig) …


3. Lexikalische Besonderheiten

a) Archaische (= altlateinische) Formen

ollī = illī ; lēnībat = lēniēbat ; aurai = aurae ; Māvors = Mārs ; in vielen Wörtern steht älteres –vo- für –ve- oder –vu-, Beispiel: servos = servus, vortit = vertit


b) Metonymische Ersetzungen –Metonymie ist die Ersetzung eines Wortes durch ein anderes, das mit dem ersetzten Wort in einem bestimmten Sinn- zusammenhang steht, z.B. Person ↔ Sache, Gefäß ↔ Inhalt, Material ↔ Erzeugnis, Abstraktum ↔ Konkretum

lāniger = „Wollträger“: Lamm ; lumina = „Lichter“: Augen ; caelum vituperāre = den Himmel (= die göttliche Ordnung) tadeln ; tēctum = „Dach“: Haus ; Mūsa = „Muse (Musen = Göttinnen der Schönen Künste)“: Dichtung, Gesang, Kunst ; aviditās = „Gier“: gierige Person


c) Ersatz von Genitiven durch Adjektive

lacrimae māternae = die Tränen der Mutter ; lupa Mārtia = die Wölfin des Gottes Mars, die von Mars geschickte Wölfin [nicht: die marsianische Wölfin]; triumphus fēmineus = der Triumph einer Frau [nicht: der weibliche Triumph]; patrium nōmen = der Name des Vaters


d) Verwendung von Deminutiven (Verkleinerungsformen) auf –ulus, -ula, -ulum oder –ellus, -ella, -ellum

auricula (Öhrchen) = auris ; opella (kleine Arbeit) = opera ; mūnuscula (kleine Geschenke) = mūnera ; suō modulō (nach seinem eigenen kleinen Maßstab) = suō modō


e) Simplex pro composito (= Verwendung des einfachen Verbs statt eines Kompositums)

pōnere für dēpōnere = ablegen, niederlegen; fluere für dēfluere = herabfließen ; tendere für contendere (in allen Bedeutungen)

Dies stellt bloß eine Auswahl typischer Merkmale von dichterischen Texten dar. Gemeinsamkeiten lateinischer und deutscher Dichtung sind die gehäufte Verwendung von Stilmtteln wie Alliteration, Chiasmus, Anapher, Vergleich und Metapher. Auch das Bemühen, alltägliche durch ungewöhnlichere Begriffe zu ersetzen, kann hierher gezählt werden.

Daher noch ein Tipp:

Wenn dir ein Wort in seiner üblichen Bedeutung unangebracht erscheint und eine übertragene oder zusätzliche Bedeutung erhält, findet sich diese oft im Wörterbuch mit dem Hinweis darauf, dass es sich um eine dichterische Verwendung handelt. Viele Wörterbücher geben sogar an, bei welchem Dichter sich ein bestimmtes Wort in einer bestimmten Bedeutung findet.

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