Das Gerundivum tritt in zwei verschiedenen Bedeutungen auf. Hier wird dir das attributive Gerundivum erklärt. Wie wird es gebildet, verwendet und welche Übersetzungsmöglichkeiten gibt es?
Das Gerundivum ist wie die Partizipien ein vom Verb abgeleitetes Adjektiv (Verbaladjektiv). Allerdings wird es als echtes Adjektiv (attribut) nur von Gefühlsverben (z.B. loben, lieben, hassen) verwendet. Dann entspricht es deutschen Adjektiven auf –bar, -lich oder –wert:
laudandus,-a,-um lobenswert, löblich
amandus,-a,-um liebenswert
contemnendus,-a,-um verachtenswert, verächtlich
Das Gerundivum wird wie das Gerundium aus dem Präsensstamm, dem Kennzeichen –nd und den Endungen a-/o-Deklination gebildet; als Adjektiv hat es hierbei die Endungen aller drei Genera sowie einen regelmäßigen Plural. Bei der i-Konjugation, der konsonantischen Konjugation und der Mischkonjugation wird der Präsensstamm um den Bindevokal –e erweitert.
a-Konjugation | e-Konjugation | i-Konjugation | kons. Konj. | Mischkonj. |
dandus,a,um | flendus,a,um | audiendus,a,um | mittendus,a,um | capiendus,a,um |
Verwendung des Gerundivums
Der attributive Gebrauch ist nur bei transitiven Verben (Verben mit einem Akkusativobjekt) möglich. Das Gerundivum entspricht hier einem Partizip Präsens Passiv:
in pontibus faciendis beim Bau von Brücken (wörtlich: „bei den Brücken, die gebaut werden“)
Der prädikative Gebrauch drückt zusätzlich eine Möglichkeit bzw. Notwendigkeit aus:
Liber legendus est. | Das Buch muss gelesen werden. |
Pacta sunt servanda. | Verträge müssen eingehalten werden. |
2. Erweitertes Gerundium und Attributives Gerundivum |
1. Das Gerundivum als Adjektiv In attributiver Funktion findest du das Gerundivum einiger Verben (v.a. solcher, die eine Gefühlsregung bezeichnen) rein adjektivisch verwendet. In diesem Fall bezeichnet es die Notwendigkeit oder die Möglichkeit einer Handlung. Du übersetzt es ins Deutsche durch ein Partizip Präsens mit zu, ein Adjektiv auf –lich, -wert, -würdig oder einen Relativsatz: mala fugienda = zu meidende Übel; Übel, die zu meiden sind homo contemnendus = ein zu verachtender Mensch; ein verächtlicher/verachtens- werter Mensch; ein Mensch, der verachtet werden muss virtus miranda = eine zu bewundernde Tugend; eine bewundernswerte Tugend, eine der Bewunderung würdige Tugend Häufiger findest du auch folgende Gerundiva als Adjektivattribut: laudandus, -a, -um = lobenswert miserandus, -a, -um = bedauernswert spernendus, -a, -um = verachtenswert irridendus, -a, -um = lächerlich, lachhaft metuendus, -a, -um = fürchterlich ferendus, -a, -um = erträglich expetendus, -a, -um = erstrebenswert 2. Das Gerundivum als Partizip Präsens Passiv Häufiger wird dir das attributive Gerundivum in der Bedeutung eines passiven Partizip Präsens bzw. Futur begegnen. In diesem Fall bezeichnet es einen noch nicht abgeschlossenen Vorgang, allerdings ohne die Handlung als notwendig zu kennzeichnen. Es entspricht gleichsam einem durch ein Akkusativobjekt erweiterten Gerundium. Vergleiche: Gerundium Gerundivum in pugnando in bellis gerendis (= in bella gerendo) beim Kämpfen beim Führen von Kriegen, wenn man Kriege führt legendo libris legendis (= libros legendo) durch Lesen durch das Lesen von Büchern ad spectandum ad ludos spectandos (= ad ludos spectandum) zum Schauen, um zu schauen um die Spiele zu schauen occasio bibendi occasio vini bibendi (= occasio vinum bibendi) die Gelegenheit zu trinken die Gelegenheit, Wein zu trinken tempus scribendi tempus epistulae scribendae (= tempus epistulam scribendi) Zeit zum Schreiben die Zeit, einen Brief zu schreiben Zur Verwendung von erweitertem Gerundium und attributivem Gerundivum Nach Präpositionen wird anstelle eines erweiterten Gerundiums in der Regel ein attributives Gerundivum verwendet: in bellis gerendis (statt: in bella gerendo) beim Führen von Kriegen ad portam aperiendam (statt: ad portam aperiendum) zum Öffnen der Tür Im Genitiv dagegen kannst du sowohl ein erweitertes Gerundium als auch ein attributives Gerundivum finden. Das erweiterte Gerundium ermöglicht vor allem im Plural die Häufung schwerfälliger Genitivpluralendungen: occasio epistulam scribendi oder: occasio epistulae scribendae die Gelegenheit, einen Brief zu schreiben occasio epistulas scribendi eher als: occasio epistularum scribendarum die Gelegenheit, Briefe zu schreiben Ist das Akkusativobjekt ein Pronomen oder Adjektiv im Neutrum steht meist das erweiterte Gerundium: tempus id scribendi die Zeit, dies zu schreiben spes omnia intellegendi die Hoffnung, alles zu verstehen consilium nihil agendi der Plan, nichts zu tun quam plurima videndi causa um möglichst viel zu sehen Verlangt ein Verb eine dativische Ergänzung, steht in der Regel das attributive Gerundivum, da der Dativ des Gerundiums eher ungebräuchlich ist: Iuri et legibus cognoscendis studui/operam dedi. Ich habe mich um die Erkenntnis von Recht und Gesetz bemüht. Auch im bloßen Ablativ steht meist das attributive Gerundivum anstelle eines erweiterten Gerundiums: ponte faciendo (statt: pontem faciendo) durch den Bau einer Brücke Montibus ascendendis exerceor. Ich trainiere durch Bergsteigen./ Ich trainiere, indem ich Berge besteige. Bei der Umwandlung eines durch ein Akkusativobjekt erweiterten Gerundiums in ein attributives Gerundivum gilt: Das Gerundivum und sein Bezugswort stehen im selben Kasus wie das Gerundium, Numerus und Genus dagegen sind durch das Bezugswort festgelegt. erweitertes Gerundium: facultas Romam (Akk.Sg.fem.) visendi (Gen.Sg.n.) attributives Gerundivum: facultas Romae visendae (Gen.Sg.fem.) die Möglichkeit, Rom zu besichtigen |
Schwierigkeitsgrad 1
Arbeitsblatt-Nr. 3204
Schwierigkeitsgrad 2
Arbeitsblatt-Nr. 3205